Heinz Schütz

Der Fotokubus

 

Katalogtext zur Ausstellung
im Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum
der Danner Stiftung zum 8. Bayerischen Fotopreis

Herausgeber: Danner Stiftung ©1998

 

Idealisieren wir und sagen wir einfach "Kubus", auch dann, wenn im Folgenden von anderen achteckigen Körpern die Rede sein wird. Als geometrisches Gebilde ist der Kubus nicht von dieser Welt, für ihn ist der untere Teil des platonischen Ideenhimmels reserviert. Dort ruht er im logisch-mathematischen Raum perfekt und unwandelbar den Bedingungen der Materie und der Zeit enthoben. Heruntergeholt in die Welt des Physischen verliert er seine Vollkommenheit und wird insbesondere vergänglich. Versieht man den Kubus darüberhinaus mit Scharnier und Deckel, verwandelt er sich in ein Kästchen. Abgesehen vom Gebrauchswert als Aufbewahrungs- und Schutzraum kann er, seines Anspruchs auf logisch unerbittliche Klarheit entledigt, zur Projektionsfläche des Symbolischen werden. In seiner Traumdeutung bringt Freud das Kästchen mit Attributen des Weiblichen in Verbindung - "Wenn wir es mit einem Traum zu tun hätten, würden wir sofort daran denken, daß die Kästchen auch Frauen sind ..." -, in seinem Aufsatz "Das Motiv der Kästchenwahl" wird ihm die Wahl eines Kästchens zur Todeswahl.

 

Eine herausragende Rolle spielt der Kubus in der Geschichte der Fotografie, wo er als eine Art von Bilderzeugungs-Wunder-Box fungiert. Die Camera obscura, die Vorläuferin des Fotoapparates, entwickelte sich vom Raum zum Kasten. - Durch ein kleines Loch in der Kubuswand wird die Welt ins Innere geholt und in ein auf den Kopf gestelltes Lichtbild verwandelt. - Bei den frühen Fotoapparaten handelte es sich um Holzkästchen mit Linsen und Platten. Selbst die modernen Kameras weisen Züge von Kästchen auf und noch im Fernsehgerät und Computermonitor verbinden sich Bildproduktion und Kasten.

In der Geschichte der Skulptur kulminiert die Bedeutung des Kubus im Minimalismus, wobei der Begriff "Skulptur" durch "Objekt" und "Primärstruktur" ersetzt wird. Der Minimalismus verkehrt den Kubus von einem möglichen Instrument der Bilderzeugung antimimetisch ins Gegenteil reiner Gegenwärtigkeit. Als ob das Loch in der Camerawand, durch das die Welt als Bild eintreten kann, geschlossen würde, verweist der Kubus im Minimalismus auf sich selbst. Dabei reibt er sich mit seiner physischen Erscheinung wie eine konzeptualistische Junggesellenmaschine am eigenen Begriff, sei es als serielle Variation und verräumlichtes Gitter bei Sol Le Witt, als auf ihrer Materialität bestehende sich zu einem Holzquader addierende Holzquader bei Carl Andre, oder als Metallhohlkörper, die ihre eigene Idee inkorporieren, bei Donald Judd. Selbst der ideale Präsentationsort wird, wie Brian O'Doherty herauskristallisierte, zum abgeschlossenen, den Rest der Welt draußen haltenden "White Cube".

Mit der Resemantisierung der Kunst in den achtziger Jahren und einem neu erwachten Interesse an Bildern rückt die Fotografie im Kunstzusammenhang ins Zentrum. Dabei verbindet sich nicht zuletzt das Foto mit dem Kubus: Leuchtkästen, die bis dahin primär den Verführungszwecken der Werbung dienten, finden zunehmend in der Kunst Verwendung, allen voran bei Jeff Wall.

Im Sinne postminimalistischer Fotografie lassen sich Hubert Weilands SOME BODIES verstehen. Durch die serielle Anordnung von Bildträgern - Fotos auf Papier oder Siebdrucke auf Kunststoffplatten - produziert Weiland Kuben. Im Gegensatz zum "Reinheitspostulat" des Minimalismus sind die Kuben in sich geneigt und damit leicht verzerrt, darüberhinaus verkörpern sie Bilder - Freudsche Bilder der Identifikation von Frau und Kästchen. Im Gegensatz allerdings zum Freudschen Kästchen, das wesentlich von der Vorstellung eines nach außen abgegrenzten Hohlraumes zehrt, bestehen Weilands Kuben nur aus Oberfläche. Es gibt keinen Hohlraum. Das Innere besteht aus massiven Bildträgern, wobei die Ränder der inneren Bilder das Bild an der Oberfläche des Kubus produzieren: das Bild eines sich exponierenden weiblichen Körpers. Seine Pose verweist auf Posen pornographischer Magazine.

 

Die pornographische Pose

Weilands Wiederholung pornographischer Posen kann als ein Reflex auf die zunehmende Pornographisierung verstanden werden. Pornographie und Massenmedien gehen immer enger Hand in Hand und es ist ein gesellschaftliches Symptom, wenn Pornoakteure inzwischen in den verschiedensten Talkshows die Attitüde von Stars entwickeln. Darüberhinaus trägt die forcierte Wunschbildproduktion der Werbung immer schon Züge eines pornographischen Überfalls. Zieht man die anderen Fotoarbeiten Weilands in Betracht, liegt es jedoch nahe, SOME BODIES insbesondere als fotografische Metareflexion zu betrachten.

Immer schon begünstigt das Foto voyeuristische Einstellungen, erlaubt es doch Einblicke in Situationen, ohne daß der Betrachter Teil dieser Situationen ist. Nicht von ungefähr tendiert die Fotografie seit ihrer Frühzeit zur Wiedergabe nackter Körper. Das Foto blickt nicht zurück und selbst dann, wenn es inszeniert wurde, richten sich möglicherweise die Augen der Fotografierten auf die Betrachter, aber nicht ihr Blick. Unter dem Blick des Betrachters verdinglicht sich das fotografierte Subjekt zum Objekt. Die Tendenz zur radikalen Verdinglichung wiederum ist ein Charakteristikum der Pornographie. Sie treibt das Erotische aus dem Bild und bewegt sich etwa in der Prostitution weiblicher Körper in Richtung Gynäkologie.

Die Verdinglichung dominiert in SOME BODIES. Bereits der Titel lässt sich zweifach lesen. Im Sinne von "irgendjemand" weist er auf die potentielle Austauschbarkeit des weiblichen Körpers für die männliche Begierde, im Sinne von "einige Körper" setzt er den sich im Foto darbietenden Körper mit dem aus den Bildträgern geformten Kubus auf eine Stufe. Damit wird die Freudsche Gleichsetzung bestätigt, gleichzeitig wird sie aber auch durchbrochen. Wenn sich der Betrachter dem Fotokubus nähert, verschwindet das Bild auf der Kubusoberfläche und die weißen Ränder der Fotoplatten treten in den Vordergrund. Bewirkt die fotografische Distanz grundsätzlich die Unantastbarkeit des Fotografierten, erweist sich hier in der Annäherung der auf dem Kubus prostituierende weibliche Körper als Fantasmagorie.

 

Die Projektion

Zu fragen ist, inwieweit Weiland die primär männliche Projektion des Weiblichen reflektiert, inwieweit er sie perpetuiert und zementiert.

Die Frau in SOME BODIES existiert ohne Gesicht nur als Körper und Geschlecht. Ein männliches Gegenstück zu SOME BODIES liefert die Portraitserie I-V. Der Mann taucht hier als Kopf ohne Körper auf, während die Frau in SOME BODIES mit Körper, aber ohne Kopf erscheint. Damit werden gesellschaftliche Geschlechterbilder evoziert und reflektiert, denn wie sich das pornographische Bild der Frau als eine Art von Fantasmagorie erweist, sind auch die Männerköpfe zumindest partiell Projektionen.

Jenseits der Geschlechterdifferenz thematisiert die Portraitserie den fotografischen Abbildungsmechanismus. Wie in einer vertrackten Komplizierung von Platons Höhlengleichnis produziert hier nicht das von außerhalb kommende Licht die Schatten, sondern die Schatten entstehen, durch die Projektion zweidimensionaler Bilder auf das dreidimensionale Bild derselben Person. Die Skulptur, ein Lebendgipsabdruck funktioniert dabei wie eine Leermaske, die mit Hilfe der Diaprojektion ihr farbiges Gesicht erhält und verlebendigt wird. Die magische Versuchsanordnung zielt auf Identität, aber gerade dadurch, daß sie zwei verschiedene Abbildungen desselben zur Deckung bringt, tritt die Differenz hervor. Im Licht des Dias zeigen sich die materialbedingten Unebenheiten des Gipskopfes, wiederum irritiert der Bildträger das Bild. Die Irritation wird verstärkt dadurch, daß Weiland die "Versuchsanordnung" als Foto präsentiert.

 

Filmisches

Eine Fähigkeit der Fotografie besteht darin, einen Moment aus dem Zeitfluß herauszubrechen, um ihn gleichsam im Bild erstarren zu lassen. Der Film durchbricht die Erstarrung und suggeriert die Möglichkeit der Zeitwiederholung.

Klappt man einen Fotokubus der SOME BODIES-Serie auf und legt alle Siebdrucke nebeneinander, wirken die Bilder wie eine filmische Sequenz. Um das Bild auf der Kubusoberfläche durch die herausragenden Bildränder erzeugen zu können, fotografierte Weiland sein Motiv wie bei einem vertikalen Filmschwenk. Die Addition der Einzelbilder führt jedoch nicht zur Bewegung, sondern zum erstarrten Bild.

Die Portraitserie zeigt zwar nicht dieselbe Person, trotzdem scheint sie auf der abstrakten Ebene gleichsam die Zeit zu überlisten. So als ob sich Diachrones synchronisieren ließe, stehen die Männerköpfe verschiedener Alterstufen vom Kind bis zum Greis gleichzeitig nebeneinander.

In o.T. Landschaft fotografierte Weiland die Süd- und die Nordseite ein- und desselben Gebirgszuges. Die beiden Fotos befestigte er auf rotierenden Walzen. Auch hier wird das, was gewöhnlich nur diachron erscheint - zwei entgegengesetzte Ansichten eines Berges - synchronisiert. Ein Motiv, das für Beständigkeit steht, wird in Bewegung gesetzt. Während der Kubus in den tieferen Etagen des platonischen Himmels endlos dauert, produzieren die rotierenden Gebirgswalzen durch die permanente Wiederholung des Gleichen ironisch eine Art Zeit im Stillstand.

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