Katalogtext zur Gruppenausstellung
Der Berg
Heidelberger Kunstverein, 2002
von Sarah Debatin
HUBERT WEILAND
Ohne Titel Landschaft 1996
Es ist ein und derselbe Gebirgszug, der sich da auf zwei nebeneinander-stehenden Walzen langsam vor unseren Augen abrollt. Zweimal derselbe Berg, einmal aus nördlicher, einmal aus südlicher Richtung fotografiert. Die Lücke zwischen den beiden Walzen bildet einerseits die Mitte von der aus gesehen sich die Gebirgsketten auseinander, also voneinander weg bewegen. Andererseits fungiert sie quasi als Spiegelachse, zumindest was das Bergmassiv betrifft. Doch sind die beiden Landschaften im Vordergrund stark unterschieden: Die rechte ist insgesamt schroffer und wilder, von Straßen und Wegen durchschnitten, die rechte, lieblich und sanft zeigt Felder und «grüne Wiesen im Sonnenschein». Die aufrecht stehenden Rollen, auf die die Fotographien aufgezogen sind, sollen an Druckereiwalzen erinnern, so daß eigentlich zu erwarten wäre, daß die beiden Bilder genau identisch sind, wie bei einem Wasserfarben-Klecksbild. Zudem stimmt die Horizontlinie auf beiden Fotografien (zwangsläufig) genau überein. Daß das, was sich da aneinander abrollt so ähnlich und doch so unterschiedlich ist, regt zum Nachdenken an. Die beiden Fotographien zeigen sozusagen zwei Seiten derselben Medaille, das gleiche Massiv aus jeweils 15 km Entfernung.
Hubert Weiland, der Ausbildung nach Steinbildhauer, überschreitet in seinen Fotoarbeiten die Grenzen zwischen den Gattungen und stellt unsere Sehgewohnheiten auf die Probe. Wie auch seine Serie zum menschlichen Körper, Some Bodies, ist die Bergland- schaft raumgreifend und hat somit mehr Ähnlichkeit mit Skulptur als mit zweidimensionaler Fotografie. Die Bilder laufen zudem wie ein Film vor unseren Augen ab und suggerieren so ein zeitliches «Vorübergehen». Sie erwecken den Eindruck einer Momentaufnahme, die gleich von einem anderen Bild abgelöst werden wird. Allerdings wiederholt sich bereits nach 45 Sekunden dieselbe Aufnahme noch einmal, und das immer wieder über Stunden hinweg, so daß von Veränderung keine Rede sein kann. Diese Ironie vor dem Hintergrund einer Allgäuer Berglandschaft kommt vielleicht nicht von ungefähr. Es handelt sich um eine Region, in der die Zeit — bei aller Veränderung im Jahreslauf und allem technischen Fortschritt — stillzustehen scheint. Der Landstrich ist von Landwirtschaft und Tourismus geprägt, das Leben der Menschen ist nach wie vor eng mit der Natur verknüpft und traditionsverbunden. Vielleicht kann man das Fotoobjekt im Hinblick auf die Herkunft des Künstlers - er stammt selbst aus dem Allgäu — als ganz persönlichen «Heimatfilm» sehen, der nicht ganz ohne Ironie die eigene Umwelt in den Blick nimmt.
SD
(Sarah Debatin)
Ohne Titel Landschaft, 1996
Fotoobjekt, Cibachrome-Vergrößerungen, Kunststoffwalzen, Elektromotor
80 x 30 x 16 cm