Flyer Text zur Ausstellung
"Kunst vor Ort" des Landkreises Ravensburg
im Bahnhof in Leutkirch

 

Bettina Högner

Never argue with the Data

Was existiert zwischen Gut und Böse? Zwischen Schwarz und Weiß? Es sind die Schnittstellen, die Hubert Weiland interessie­ren, in der Erscheinungsform seiner künstlerischen Arbeiten wie in inhaltlicher Sicht. Ausgebildet als Steinbildhauer, wandte er sich Anfang der 90er Jahre auch der Fotografie zu. Es entstanden Werke, in denen sich beide Medien durchdrangen und die sich zwischen dreidimensionalem Objekt und zweidimensionaler Fotografie bewegten.

Wie ein Findling steht die Arbeit "o.T." im Raum. Sie zeigt Jugend­liche im Park, die sich unterhalten, telefonieren. Weiland überträgt hier den bildhauerischen Schaffensprozess auf den Computer. Er entwirft eine Form, auf die er ein Foto projiziert, anschließend nimmt eine virtuelle Kamera das Objekt auf. Die Umsetzung zum realen Gegenstand erfolgt durch einen 3D-Drucker. Die Arbeit ist wie ein Nukleus, der in höchster Konzentration Informationen in sich birgt. Das Motiv durchdringt das Objekt, die Form weist keine Ecken auf. So entsteht der Eindruck eines illusionistischen Raumes, der wie ein seltsames Konzentrat urbanen Lebens ist. Die Alltäg­lichkeit dieser Szene, die jeden Tag in jeder Stadt so vorzufinden ist, evoziert beim Betrachter ein Déjà-vu. Eben ist er vielleicht selbst an einer Gruppe Jugendlicher vorbeigegangen. Für einen kurzen Moment tauchen ähnliche Szenen aus dem Gedächtnis auf und manifestieren sich, Emotionen werden geweckt. Die Veränderung der Wahrnehmung steht im Zentrum der Foto­grafie "o.T.", einer Aufnahme eines Hochhauses, bei der der Bild­grund eingedrückt wird.

Der Betrachter wird mit einer deutlichen Delle der Fassade des Hauses konfrontiert, und so erscheint eine banal anmutende Aufnahme eines Hochhauses seltsam artifiziell. Eine Prise Ironie schwingt ebenso mit wie der Verweis auf den Künstler. Die Ver­formung ist wie ein Stempel, eine Art Beweissicherung für sein Tun. Durch die thermische Verformung der Bildfläche erscheint das Motiv partiell verzerrt; oder, Weiland stellt hier potentielle ästhetische Erscheinungsformen zur Diskussion. Charakteristisch für diese Serie ist die Untersuchung des Raumes und dessen Rezeption.

Ein weiterer Werkkomplex besteht aus Fotos von computergene­rierten Reliefs u.a. von Häuserfronten. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich Helligkeitswerte von Farben bei der Überset­zung in Höheninformationen unterschiedlich im Raum verhalten, wird eine Aufnahme in einzelne Farben zerlegt. Weiß kommt an die Oberfläche, Schwarz sackt in den Bildgrund ab, alle Pixel wer­den ihrer Helligkeit entsprechend orthogonal zur Bildfläche ver­schoben. Was der Betrachter nun sieht, ist eine völlig neue Ansicht seiner Umgebung. Schneebedeckte Bäume vor einem Haus schei­nen aus diesem herauszuwachsen, glatte Oberflächen werden malerisch. Ungeahnte Empfindungen werden geweckt, und so wird aus einer friedlichen Stadt plötzlich Sin City - bedrohlich, unheim­lich. Haben wir es nicht schon immer geahnt, dass hinter der harmlosen Fassade das Unbekannte, das Böse lauert? "Die Realität ist immer noch schräger als alle Fiktion" sagt Doris Dörrie, und Hubert Weiland bringt uns dieser Ansicht einen Schritt näher. Ein Konzentrat seiner künstlerischen Überlegungen ist der Film "Fabio". Was passiert, wenn die Aufnahme einer banalen Handlung wie das Kochen von Milchreis auf ein virtuelles Rohr projiziert wird? Es entstehen erstaunliche Perspektiven, bisher ungeahnte Blickwinkel und die implizierte Aufforderung, auch mal den eigenen Standpunkt zu wechseln.

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